In der der Nacht treffe ich meine Entscheidung: Ich fahre gen Osten, denn auf Kreta wäre mein Handlungsspielraum zu sehr eingeschränkt. Kreta kann ich später, auf dem Weg nach Westen, immer noch „mitnehmen“.
Durch den starken Wind ist mein Schiff über und über mit gelben und schwarzen Sand, vermischt mit Salz, bedeckt. In der Nacht hat es noch dazu ein bisschen geregnet und den Dreck an Deck gleichmäßig verteilt. Im Hafen gibt es aber kein Wasser, um zumindest das Gröbste abwaschen zu können….
Der Wetterbericht hält was er verspricht, der Wind dreht im Morgengrauen auf W / NW, 4-5 Beaufort sind angesagt, genau richtig für eine flotte Überfahrt. Ich möchte nämlich auf einen Rutsch zur Insel ASTIPALAIA kommen, das sind immerhin 54sm – eine Nachtfahrt ist mir somit sicher. Ich breche zeitig auf, da es ein langer Tag werden wird. Die schwierige Hafenpassage von VLYCHADA ist durch den geringen Tiefgang meines Schiffes kein Problem. Leider dauert es ewig, bis ich aus der Landabdeckung von THIRA bin und frei segeln kann. Ich passiere die Insel ANAFI, die mir genau im Wege liegt, und ärgere mich über deren Landabdeckung. Es ist erstaunlich, wie weit so eine Insel die Windverhältnisse verändert und wie lange es dauert, bis man aus deren Windschatten wieder herauskommt. Zwischenzeitlich flattern und schlagen die Segel, dass einem das Herz wehtut. Die Angelegenheit wird mühsam, da ich noch immer ohne Autopilot unterwegs bin. Jedes Mal, wenn ich in die Kajüte muss, macht das Schiff, was es will. Nicht gerade entspannend….. Gegen Abend kommt der Wind ganz von achtern, ich baume die große Fock aus und sichere den Baum mit einem Bullenstander – aufmerksames Rudergehen ist nun angesagt. Langsam bricht die Dämmerung an, noch immer ist kein Land in Sicht. An sich kein Problem, der Kurs ist abgesteckt, kleine Inseln und Riffe, die mir gefährlich werden könnten, liegen abseits, die Nachtansteuerung des angepeilten Hafens ist an sich problemlos (da täuscht du dich wieder einmal, mein lieber Gerhard…) – trotzdem macht sich bei mir Anspannung bemerkbar. Meine Eigenkonstruktion der im Masttopp montierten Dreifarbenlaterne bewährt sich wieder einmal hervorragend, sie beleuchtet nämlich in der Nacht meine „Windex“, ein unentbehrliches mechanisches Anzeigeinstrument, um den Windeinfallswinkel feststellen zu können. Ich schlüpfe in warme Sachen, darüber kommt mein winddichtes Regenzeug, ein warmes Mützchen (Danke Hermann!) wärmt mein Haupt, Gummistiefel, Handschuhe und der Lifebelt mit Lifeline vervollständigen meine Garderobe. Wahrscheinlich schaue ich aus wie ein Marsmännchen. Oder wie das Michelinmanderl…. Hauptsache ist, ich kühle nicht aus, sehen tut mich eh niemand, also was soll’s. Die ersten Sterne werden sichtbar, die Wolken verändern rasch ihre Farben, der knapp dreiviertel volle Mond beginnt den Himmel zu dominieren. Dunkel umgibt mich nun das bewegte Meer, das Schiff zieht eine sich schnell verlierende, schäumende Spur durch die Wellen, der Wind pfeift in den Wanten, ich sitze in Luv aufmerksam an der Pinne, nur die schwache Beleuchtung der Instrumente vermittelt einen Hauch von Vertrautheit. Kein Licht ist am Horizont zu sehen, die ganze Fahrt lang begegnete mir nur ein einziges Schiff, eine Fähre. Ich bin in diesem Moment sehr einsam, gleichzeitig fühle ich mich aber eins mit den Elementen, spüre in solchen Momenten ganz intensiv, dass ich lebe und frei bin wie der Wind. Mein kleines, braves Schiff und ich bilden eine Einheit, einander auf Tod und Gedeih ausgeliefert. Gemeinsam jagen wir durch die Nacht, unserem noch unbekannten Ziel entgegen. In diesen einsamen Nachtstunden, Johann Wolfgang von Goethe selig möge mir verzeihen, dichtete ich seinen „Erlkönig“ prosaartig um:
„Wer segelt so spät durch Nacht und Wind,
der Gerhard kommt, bestimmt!
Er hat die Pinne fest in der Hand,
Er fasst sie sicher, er will ja an Land“
Um 23 Uhr Ortszeit, nach 14 Stunden Fahrt, ist es dann so weit, ich laufe an der auf einem Berg liegenden, herrlich beleuchteten venezianischen Ruine vorbei in den Hafen von SKALA auf der Insel ASTIPALAIA ein – und bekomme sofort meine Krise. Kein einziges Leuchtfeuer ist auszumachen, das ist doch nicht der Hafen von SKALA, laut Handbuch sieht der doch ganz anders aus!!! In meiner Panik mache ich kehrt, laufe ein kurzes Stück in die Bucht hinaus, befrage dort mein Handbuch intensiv (bin ich froh, dass ich Stirnlampen habe!), finde aber auch dort keine Erklärung für den „falschen“ Hafen. Alkohol und Drogen scheiden bei mir aus, bleiben also nur mehr Altersdemenz und Alzheimer über. Na bravo… Was soll’s, Hafen ist Hafen, ich kehre um und laufe vorsichtig ein, erkunde das Terrain, finde es gar nicht so übel und suche mir ein hübsches Platzerl. Nach einem geglücktem Anlegemanöver, einigen Scheiben Salami und einer Katzenwäsche verschwinde ich müde aber Happy in meiner Koje, morgen werden wir dann weitersehen….
Etmal: 54sm, Position: N 36° 32,84’ / E 026° 21,24’
Epilog: Zum zweiten Adventsonntag ein Gedicht von Theodor Storm, welches auch ein bisschen meine Situation darstellt:
In der Fremde
Andre Seen, andre Auen -
Längst verschwunden Strand und Meer,
Rings wohin die Augen schauen,
Auch kein Plätzchen kenn ich mehr.
Andre Menschen, andre Herzen,
Keiner gibt mir frohen Gruß,
Längst verschwunden Spiel und Scherzen,
Längst verschwunden Scherz und Kuss.
Aber wenn der Tag geschieden,
Dunkel liegen Tal und Höhn,
Bringt die Nacht mir stillen Frieden,
Wenn die Sterne aufergehn.
Schaun aus ihrer blauen Ferne
So vertraut herab zu mir! -
Gott und seine hellen Sterne
Sind doch ewig dort wie hier.