Es war wenig Schwell, daher gut geschlafen. Ich habe mich nach dem Frühstück an die Außenseite der Hafenmauer verlegt, um die Stadt besichtigen und Einkaufen zu können, ohne das Dingi bemühen zu müssen. Das war ein Fehler…. Es war übrigens gut, dass ich gestern Abend nicht in den Hafen eingelaufen bin, denn darin lauerten einige hirnrissig verlegte Leinen, die ich nicht gesehen hätte und in denen ich sicher hängen geblieben wäre.
Die (Alt) Stadt von PAROIKIA, dem Hauptort der Insel, ist sehr pittoresk und sehenswert. Würfelförmige Häuser, blendend weiß gefärbelt, oft mit blauen Fensterläden oder Türen, enge und verwinkelte Gassen mit Torwegen, dazwischen bilden Bougainvilleen und Glyzinien bunte Farbtupfer. Hier steht auch die angeblich schönste Kathedrale der Ägäis, die Katapoliani. Deren Besuch kann ich wirklich empfehlen, sie hat eine wunderbare Innenausstattung. Meine Andacht wurde leider durch das blasiert dreinschauende und gelangweilt herumstehende Wachpersonal massiv gestört.
Früher wurde auf dieser Insel ein besonderer Marmor – Lychnites Marmor - unter Tage abgebaut. Dieser wurde, wegen seines schwierigen Abbaues, 1844 zum letzten Mal, für das Grabmal Napoleons verwendet. Angeblich soll es hier auch einen guten Rotwein geben. Den habe ich allerdings nicht probiert.
Vom Einkaufen zurückkommend, bemerkte ich meinen Fehler: der nun auf Nord gedrehte Wind hatte aufgefrischt und drückt SANDPIPER fest an die Hafenmauer. Sie ist aber gut abgefendert, von daher gibt es kein Problem, nur das Ablegen gestaltete sich schwierig: Ich gruppierte die Fender strategisch um, löste, bis auf eine auf Slip, alle Leinen, startete den Motor, fixierte die Pinne in geeigneter Position und wartete auf meine Chance. Die kam, als Äolus, der Gott der Winde, einmal kurz Atem holte: die auf Slip gelegte Leine blitzschnell losgeworfen, das Schiff händisch kräftig von der Hafenmauer abgestoßen, ich kam gerade noch ohne Hoppala mit an Bord, Gang rein, Full pull voraus, und los ging’s. Nur das am Heck quer befestigte Dingi streifte einmal kurz an der Hafenmauer, dann war ich frei. Uff, noch einmal gut gegangen.
Ich wollte nach NAXOS, wo Susanne und Alex, die ich von Trizonia her kenne, mit ihrer „Stella“ liegen. Die Insel NAXOS liegt ja gleich um die Ecke, also habe ich keine besonderen Vorbereitungen getroffen. Ich bin ja bald da, das wird eine gemütliche Kaffeefahrt. So kann man sich täuschen…. Als ich um die Huk der Hafenausfahrt von Paroikia bog und nach Norden drehte, blies es mir entgegen, dass ich die Ohren anlegte. Gleichzeitig bekam ich alle Hände voll zu tun, - Ich habe ja keinen Autopiloten mehr - da eine wilde Kreuzsee mich arg hin und her warf. Noch dazu übersah ich fast das – bei diesen Wellen überspülte - Riff V. Petrokaravo. Bereits leicht verkrampft dachte ich mir, ich brauche mich ja nur bis an die Nordseite von Paros durchkämpfen, dort biege ich nach steuerbord ab, bekomme den Wind dwars und kann segeln. Nach einem kurzen Stück kann ich dann nach Naxos abfallen, habe dann den Wind von achtern, der mich dann bis Naxos – Stadt vor sich her bläst. Ach Gerhard, wie grau ist deine Theorie! Die Wirklichkeit sah dann so aus: Durch das (auch bereits gestrige) Gegenan unter Motor bei starkem Wind und Welle verbrauchte dieser wesentlich mehr Treibstoff als sonst, was ich aber in meiner Kopfrechnung bezüglich Spritverbrauch zu berücksichtigen vergaß. Es kam, wie es kommen musste: Auf dem Weg zur Nordspitze von Paros begann der Motor zu stottern, stirbt ab. Siedendheiß durchfuhr es mich: „Du Idiot hast vergessen den Spritstand zu kontrollieren, jetzt hast du Arsch hoch“. Steuerbords in ca. 200m Entfernung die Steilküste an der die Brandung tobte und hinter mir die Riffe… Na bravo. Aus der Backskiste das Zweitaktöl rausgefischt, welches natürlich irgendwo ganz unten liegt, dabei den Backskistendeckel auf den Kopf geknallt bekommen. Aus der anderen Backskiste den 20 Liter Benzinkanister gehievt, dabei wieder den Backskistendeckel auf den Kopf geknallt bekommen. Jetzt werde ich aber gleich grantig…. die Plichtgräting hoch, den Bodendeckel geöffnet, den Tankverschluss runter, das Schiff dreht sich derweil im Kreis, (kein Autopilot…), die Wellen werfen es herum, der Wind heult in den Wanten, ich verkeile mich so gut es geht, setze den Trichter an - wie viele Prozent Öl braucht man für 20 Liter Benzin, um ein Gemisch von 1:50 zu erhalten – zuerst das Öl, dann das Benzin, schneller! Schneller! Die Küste kommt näher! Ich verschütte einen knappen Liter des kostbaren Treibstoffes, egal, die Deckel wieder alle zu, ich reiße wie wild an der Starterleine, (der Startknopf hat ja seinen Geist aufgegeben….) besinne mich aber dann und starte nach Vorschrift, einmal, zweimal, der erste „Huster“, der Motor kommt, läuft nach kurzer Zeit wieder normal, mir fällt ein Stein vom Herzen, ich nehme Fahrt auf, weg von der schon gefährlich nahe gekommenen Küste, hinaus aufs sichere Meer. Mit der Pütz kippe ich Seewasser auf den Plichtboden, um das verschüttete Benzin zu entfernen, klare das Schiff auf, beruhige mich schön langsam. Ärger über mich selbst steigt in mir hoch. Aber es kommt noch ärger…. Ich kämpfe mich der Küste entlang nach Norden, quälend langsam geht es dahin, obwohl der Motor hochtourig läuft. Von der wilden Schaukelei bin ich schon ziemlich genervt, aufs Klo müsste ich auch bald…. Langsam drängt sich mir die Frage auf, wie weit ich es bei diesen Umständen mit dem vorhandenen Treibstoff schaffen werde? Reserve gibt es ja nun keine mehr. Ich werde immer nervöser, der markante Leuchtturm am Nordkap von Paros, Ak. Korakas, will und will nicht näher kommen. Nach einer, wie mir scheint, Ewigkeit kann ich das Kap runden, aber der Wind dreht mit, ich kann noch immer nicht ganz anliegen. Egal, ich probiers trotzdem. Vorsichtig rolle ich die Genua aus, das Groß möchte ich bei dem Wellengang lieber nicht auspacken. Die Krängung hält sich in Grenzen, der Vortrieb aber leider auch, die Küste kommt wieder näher. Ich starte den Motor und möchte das Vorsegel wieder wegrollen, dabei passierts: Es bekommt den Wind von der falschen Seite, (wahrscheinlich habe ich mit der Schot zuwenig Gegengehalten) und fabriziert eine „Eieruhr“, das heißt, dass Segel verdreht sich in sich selbst. Was jetzt? Panik überfällt mich, die Küste kommt schon wieder näher. Ich kann das Segel nicht klarieren, der obere Teil, den ich nun nicht mehr wegrollen kann, schlägt wild im Wind, knattert wie ein Maschinengewehr. Das Geräusch tut mir in der Seele weh. Das arme Segel! Ich zwinge mich zur Ruhe, lege die Pinne so fest, dass ich, ähnlich wie beim Beiliegen, mit Halbgas langsam von der Küste weg drifte. Mit einem hässlichen Geräusch gibt das strapazierte Segel dem Winddruck nach, bei einer Naht reißt es auf…Ich hangle mich auf das stampfende Vorschiff, bin schon ziemlich durchnässt, meine Brillen salzverkrustet. Die Stimmung nähert sich dem Nullpunkt, eher der Verzweiflung, aufs Klo müsste ich auch bald… Ich versuche das Segel runterzuziehen, da es aber teileingerollt ist, geht das natürlich nicht. Das Genuafall gleitet mir ins Wasser, wird mitgezogen. Schnell wieder an Deck damit, bevor es den Propeller blockieren kann, denn dann wäre alles vorbei – wir würden hilflos an die Steilküste treiben, wo in der Brandung das Ende für mein braves Schiff gekommen wäre! Das darf nicht sein! Ich komme mir vor wie ein Rodeoreiter, finde fast keinen Halt auf dem überspülten Vordeck, klammere mich an die Stagen, eine Hand fürs Schiff, die andere für mich. Fluchend hänge ich die Schoten aus und versuche die Eieruhr zu klarieren. Der starke Wind macht es mir nicht leicht. Langsam gelingt es mir aber, endlich kann ich das Segel an Deck ziehen. Ich fixiere es dort mit einer Festmacherleine am Bugkorb, hangle mich ins Cockpit zurück und übernehme wieder die Pinne. Ich bin ziemlich fix und foxi, bete, dass der Benzinvorrat reicht. Jetzt nur noch in die nächste geschützte Bucht, alles andere ist unwichtig. Nach dem Nordkap öffnet sich die große Bucht Ormos Naousa. Wenn ich die erreiche, bin ich gerettet. Die Spannung in mir ist schon fast unerträglich. Wenn jetzt das Benzin ausgeht, wirft es mich unweigerlich auf die Felsen, der Wind ist so stark, dass ich mich nicht mehr Freisegeln kann, denn ein anderes Vorsegel kann ich durch die blockierte Genua so schnell keines mehr setzen…. Unendliche Erleichterung macht sich in mir breit, als ich die Huk runden und in die Bucht einlaufen kann. Am Ende dieser, es wird dort schon ziemlich seicht, gibt es sogar eine kurze Mole, an die ich mich mit zwei Vorleinen und vor Heckanker lege. Endlich kann ich aufs Klo…..
Ich liege nun bequem auf meiner Koje, lasse nachdenklich den Tag Revue passieren. Einiges ist gewaltig Schiefgelaufen heute, ich hatte einiges an Pech und einiges an Glück erlebt - wie so oft im Leben…. Dazugelernt habe ich auch wieder einiges. Draußen heult der Wind, dass einem angst und bange werden kann. Von den umgebenden, ziemlich hohen und steilen Klippen stürzen sich die Fallböen herunter, ich liege aber sehr gut. Sicherheitshalber habe ich den Hauptanker auch ausgelegt, falls beide Vorleinen reißen sollten, was ich allerdings nicht annehme.
Etmal: 12,5sm, Position: N 37° 08,78’ / E 025° 13,61’