Für etwaige Wünsche, Bitten und Beschwerden bin ich manchmal erreichbar unter:
gerhard-auf-see@gmx.at

Mein Skype - Name: neptun.22



Samstag, 16. Mai 2009

8. Tag auf See

Die Nacht verlief ruhig und völlig windstill. Kein Schiff kam in meine Nähe. Am Morgen ist ziemlich viel Tau am Schiff, alles ist patschnass. Noch immer herrscht totale Flaute. Mit dem Handy bekomme ich Empfang, ich versuche Gerhard zu erreichen, aber sein Telefon ist defekt... Dafür bekomme ich Mama und Freund Heli ans Rohr und kann endlich meine Position und meinen Gesundheitszustand durchgeben... Ich opfere wieder kostbares Benzin, um zur Küste zu gelangen. Besagte Benzinvorräte sind nun ziemlich erschöpft, für eine kurze Strecke in einen Hafen müsste es sich aber noch ausgehen. Nachdem ich Gerhard und Rosi, welche an der Südküste logieren, telefonisch noch immer nicht erreichen kann und das Treffen damit endgültig geplatzt ist, drehe ich nach Norden ab, da ich die Südküste von Kreta mit ihren Fallwinden meiden möchte. Schön langsam kommt Südwind auf, ich kann die Ostküste Kretas nach Norden Hochsegeln und runde die nordöstlichste Ecke der Insel, Kap A. Ioannis. Von dessen gefährlichen Untiefen halte ich mich gut frei, das dort in der Seekarte eingezeichnete Wrack ist allerdings nicht mehr existent. Plötzlich geht der Tanz los: Der Wind legt rasant zu, der Autopilot schafft es nicht mehr, die Böen abzufangen, ich muss die Pinne bei deren Einfall fast bis zur Brust ziehen, so luvgierig wird Sandpiper. Ich binde das erste Reff ein und schlüpfe in mein Schwerwetterzeug. Knapp unter Rumpfgeschwindigkeit geht es nun dahin, endlich steigt der Adrenalinspiegel wieder hoch! Vier Seemeilen vor dem Hafen von Siteia / Sitia hört schlagartig, so als wenn jemand einen Schalter umgelegt hätte, der Wind auf. Eine zeitlang probiere ich noch, ob ich mit dem Blister etwas machen kann, aber nichts geht mehr. Ich starte den Motor, versuche so die Stadt zu erreichen. Eine ruhige Nacht in einem geschützten Hafen hätte ich mir nach dieser langen Überfahrt doch redlich verdient, oder etwa nicht? Und wieder einmal kommt es anders… Der Wind schralt, kommt urplötzlich von vorne und frischt stark auf. Er wirft Wellen auf, weiße Gischt wird sichtbar. Das darf doch wohl nicht wahr sein, unter diesen Bedingungen verbraucht mein Motor doch glatt das Doppelte! Gerhard, das wird knapp! Ich überlege mir einen Plan B und wechsle die Genua gegen die neue Fock aus. Mit der kann ich höher an den Wind gehen, besser kreuzen. Ungefähr eine Seemeile vor der Hafeneinfahrt treffen meine Befürchtungen ein: Der Motor fängt zu stottern an, bleibt dann ganz stehen - das Spiel ist aus. Zum Glück ist, ganz gegen meiner sonstige Gewohnheit, noch nicht Nacht… Nun tritt besagter Plan B in Kraft – aufkreuzen. Zumindest bis in die Nähe der Hafeneinfahrt, um mich dort irgendwo vor Anker zu legen und mit dem (noch aufzublasenden) Schlaucherl von einer sich hoffentlich in der Nähe befindlichen Tankstelle etwas Benzin zu holen. Soweit so gut. Ich komme relativ gut hoch, der Wind hat an Stärke dramatisch zugelegt. Etwas zuviel für die Steuerbord – Schotschiene, welche urplötzlich mit einem unschönen Geräusch aus ihrer Verankerung gerissen wird. Sie zeigt in einem unnatürlichen Winkel nach oben. Neun von elf Schrauben sind ausgerissen!! Verdammt, keine Zeit für eine Panik - Ich leite sofort eine Halse ein, um den Druck von der Schiene zu nehmen. Während ich noch den Kopf einziehe, damit mich der Großbaum nicht erwischt, fällt mir ein, dass ich keinen Plan C habe….

Ich rufe nach unten: „Klabautermann, noch so eine Aktion und du fliegst über Bord!“
Erschreckt kommt der kleine Wicht hoch und beteuert hoch und heilig, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, im Gegenteil, er hätte auch gerne etwas Ruhe, was aber zurzeit scheinbar nicht möglich sei. Er drückt sich ängstlich an mich und fragt schüchtern an:
„Sind wir in Seenot und bekommst du jetzt deine Krise?“
Nein, nein, wir haben nur ein paar kleinere technische Probleme. Nichts, was nicht in den Griff zu bekommen wäre.
„Und wie meinst du genau, bekommst du die Situation wieder in den Griff?“
Das weiß ich noch nicht.
„Fast habe ich es mir so gedacht. Wie stellt sich eigentlich unsere Gesamtsituation dar? Sei ehrlich zu mir, ich kann die Wahrheit vertragen: haben wir überhaupt eine Chance?“
Nun, wir haben zwar keinen Euro mehr im Börsel, nur 15 türkische Lira, damit macht man sich aber in Griechenland keine Freunde; wir haben auch keinen Tropfen Benzin mehr im Tank, somit kommen wir auch in keinen Hafen mehr rein. Das Brot ist schon lange aus, nur mehr zwei Eier, etwas Polenta und einige grausliche Konservendosen sind in der Kombüse; die Schotschiene hat sich unerlaubterweise verabschiedet, somit kann ich auch nicht mehr aufkreuzen; und aufs Klo müsste ich auch schön langsam….
„Oh Gott“, stöhnt da der Klabautermann auf, „wir sind dazu verdammt, wie der fliegende Holländer ruhelos über die Meere zu kreuzen. Ich bin auf einem Seelenverkäufer gelandet! Warum hilft mir den niemand!“
Sieh doch das Positive! Die Landschaft ist schön, das Boot ist dicht, wir haben noch etwas Honig und Kaffee….
„Du bist ein Irrer, weißt du das eigentlich?“
Sprachs und verzog sich wieder unter Deck.

Während ich auf dem anderen Bug segelte bastelte ich mir mit einer Rolle, einer Leine und unter Zuhilfenahme der Mittelklampe einen stabilen Ersatzholepunkt für die Fockschot, konnte so wieder wenden und weiter die Bucht hochkreuzen:


Ich entdeckte auf der Suche nach einem geeigneten Ankerplatz mit dem Fernglas etwas außerhalb der Stadt, aber in Strandnähe, eine Tankstelle. Ein erleichtertes Grinsen huschte über mein Gesicht, da die Gegend auch als Ankerplatz geeignet schien. Ich überfuhr den Platz um die Tiefe zu loten und legte dann das Ankermanöver unter Segel hin. Ich ließ den Bügelanker allerdings noch unter Fahrt ausrauschen, da sonst ein Einfahren desselbigen nicht mehr möglich gewesen wäre. Dabei habe ich die Fahrt von Sandpiper etwas unterschätzt und nur mit Mühe die Ankerkette stoppen können… Ungewohnte Stille herrscht plötzlich an Bord, Sandpiper schwojt um den Anker, keine Fahrt ist mehr im Schiff. Von Ferne höre ich Verkehrslärm, das erste Mal seit längerem. Langsam fällt die innere Spannung von mir ab. Ich mache mir einen Kaffee und denke über die Fahrt nach. Ich bin stolz über das Erreichte und dankbar dafür, dass es das Schicksal wieder einmal gut mit mir gemeint hat.
Um 18:00 bin ich nach acht Tagen nonstop Fahrt, genauer gesagt nach 178 Stunden, in Siteia / Sitia an der Nordostküste von Kreta angekommen. Für eine Strecke von Luftlinie 335 sm (620 Km) benötigte ich eine gesegelte Strecke von 590sm (1092 Km). Ich erreichte dabei eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 3 Knoten (5,55 Km/h), also leider nur sehr wenig.
Hier die zurückgelegte Strecke:


Etmal: 95sm (gesamt: 590sm), Position: N 35°11,79’ / E 026° 08,21 ’