Ich rufe nach unten: „Klabautermann, noch so eine Aktion und du fliegst über Bord!“
Erschreckt kommt der kleine Wicht hoch und beteuert hoch und heilig, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, im Gegenteil, er hätte auch gerne etwas Ruhe, was aber zurzeit scheinbar nicht möglich sei. Er drückt sich ängstlich an mich und fragt schüchtern an:
„Sind wir in Seenot und bekommst du jetzt deine Krise?“
Nein, nein, wir haben nur ein paar kleinere technische Probleme. Nichts, was nicht in den Griff zu bekommen wäre.
„Und wie meinst du genau, bekommst du die Situation wieder in den Griff?“
Das weiß ich noch nicht.
„Fast habe ich es mir so gedacht. Wie stellt sich eigentlich unsere Gesamtsituation dar? Sei ehrlich zu mir, ich kann die Wahrheit vertragen: haben wir überhaupt eine Chance?“
Nun, wir haben zwar keinen Euro mehr im Börsel, nur 15 türkische Lira, damit macht man sich aber in Griechenland keine Freunde; wir haben auch keinen Tropfen Benzin mehr im Tank, somit kommen wir auch in keinen Hafen mehr rein. Das Brot ist schon lange aus, nur mehr zwei Eier, etwas Polenta und einige grausliche Konservendosen sind in der Kombüse; die Schotschiene hat sich unerlaubterweise verabschiedet, somit kann ich auch nicht mehr aufkreuzen; und aufs Klo müsste ich auch schön langsam….
„Oh Gott“, stöhnt da der Klabautermann auf, „wir sind dazu verdammt, wie der fliegende Holländer ruhelos über die Meere zu kreuzen. Ich bin auf einem Seelenverkäufer gelandet! Warum hilft mir den niemand!“
Sieh doch das Positive! Die Landschaft ist schön, das Boot ist dicht, wir haben noch etwas Honig und Kaffee….
„Du bist ein Irrer, weißt du das eigentlich?“
Sprachs und verzog sich wieder unter Deck.
Während ich auf dem anderen Bug segelte bastelte ich mir mit einer Rolle, einer Leine und unter Zuhilfenahme der Mittelklampe einen stabilen Ersatzholepunkt für die Fockschot, konnte so wieder wenden und weiter die Bucht hochkreuzen:
Ich entdeckte auf der Suche nach einem geeigneten Ankerplatz mit dem Fernglas etwas außerhalb der Stadt, aber in Strandnähe, eine Tankstelle. Ein erleichtertes Grinsen huschte über mein Gesicht, da die Gegend auch als Ankerplatz geeignet schien. Ich überfuhr den Platz um die Tiefe zu loten und legte dann das Ankermanöver unter Segel hin. Ich ließ den Bügelanker allerdings noch unter Fahrt ausrauschen, da sonst ein Einfahren desselbigen nicht mehr möglich gewesen wäre. Dabei habe ich die Fahrt von Sandpiper etwas unterschätzt und nur mit Mühe die Ankerkette stoppen können… Ungewohnte Stille herrscht plötzlich an Bord, Sandpiper schwojt um den Anker, keine Fahrt ist mehr im Schiff. Von Ferne höre ich Verkehrslärm, das erste Mal seit längerem. Langsam fällt die innere Spannung von mir ab. Ich mache mir einen Kaffee und denke über die Fahrt nach. Ich bin stolz über das Erreichte und dankbar dafür, dass es das Schicksal wieder einmal gut mit mir gemeint hat.
Um 18:00 bin ich nach acht Tagen nonstop Fahrt, genauer gesagt nach 178 Stunden, in Siteia / Sitia an der Nordostküste von Kreta angekommen. Für eine Strecke von Luftlinie 335 sm (620 Km) benötigte ich eine gesegelte Strecke von 590sm (1092 Km). Ich erreichte dabei eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 3 Knoten (5,55 Km/h), also leider nur sehr wenig.
Hier die zurückgelegte Strecke:
Etmal: 95sm (gesamt: 590sm), Position: N 35°11,79’ / E 026° 08,21 ’