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Donnerstag, 2. September 2010

Cefalù, der temporäre Weltuntergang

Die Nacht verlief ruhig, ein schöner Tag beginnt. Ich erkunde erstmals den Hafen, der zwar ziemlich belegt ist, aber auch starke Verfallserscheinungen zeigt: Eine wegen Einsturzgefahr gesperrte Mole, eine versandete Tankstelle, planlos verlegte Muringleinen – na ja, wie in dieser Gegend halt so üblich. Ganz links im Vorhafen liegt Najade:


Dann gebe ich mir das Städtchen: Italien pur, von Touristen anscheinend hoch geschätzt. Als mir der Trubel in den engen Gassen…


...der Kitsch...


...und die Enge des Altstadt - Strandes...


... zu viel wird, flüchte ich auf den Hausberg von Cefalu, dem Rocca di Cefalù, einen 270 Meter hohen Kalkfelsen mit unverwechselbarem Aussehen:


Dort gefällt es mir ganz gut – die Aussicht ist ebenfalls grandios.



Auf dem Rocca di Cefalù finden sich Spuren aus prähistorischer und antiker Zeit. Dazu zählen die Reste eines Dianatempels aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., eine byzantinische Kapelle aus dem 7. Jahrhundert, eine Zisterne aus arabischer Zeit und eine Kastellruine aus normannischer und staufischer Zeit:



Kurz etwas zu dem typisch italienischen Städtchen:



Cefalù befindet sich an der Bahnstrecke Palermo – Messina. Die Autobahn A20 liegt etwa 4 km entfernt. Die Entfernung nach Palermo Richtung Westen beträgt 70 km, nach Messina Richtung Osten 162 km. Im Hinterland südlich der Stadt erstrecken sich die Ausläufer der „Monti Madonie“. Die Einwohner leben hauptsächlich vom Tourismus und von Dienstleistungen, weitere Erwerbsquellen sind Landwirtschaft und Fischerei. In der Gegend von Cefalù siedelten schon in prähistorischer Zeit Menschen. Unter griechischer Herrschaft ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. hieß die Stadt Kephaloidion, unter römischer Herrschaft ab 254 v. Chr. Cephaloedium. Beides bedeutet Haupt oder Kopf und bezieht sich auf die Form des Rocca di Cefalù, auf dem die Siedlung ursprünglich lag. 858 oder 859 wurde die Stadt von den Arabern und 1063 von den Normannen erobert. Der Grundriss der Altstadt wurde im 12. Jahrhundert angelegt. Die Mehrzahl der Häuser stammt aus dem 16. Jahrhundert. Unter Roger II. von Sizilien wurde der Stadtkern an den Fuß des Kalkfelsens verlegt und im 12. Jahrhundert erlebte Cefalù seine Blütezeit. In dieser Periode entstand unter anderem der berühmte Dom, der die Stadt heute zu einem bedeutenden Touristenziel auf Sizilien macht. Der Dom San Salvatore an der Piazza Duomo gilt als eines der schönsten Bauwerke aus normannischer Zeit:



Er wurde unter dem Patronat von Roger II. ab dem Jahr 1131 erbaut. Die dreischiffige Säulenbasilika zeigt Stilmerkmale der arabisch-byzantinisch-normannischen Kunst. Im Inneren ist der Dom mit aufwändigen Goldmosaiken ausgestattet. Na ja, mich hat dieser Dom nicht sonderlich beeindruckt. Er ist zwar groß, man kann sogar sagen mächtig, aber eher schmucklos streng, die Türme asymmetrisch, die künstlerische Gestaltung der Glasfenster potthässlich:


Die Basilika dominiert mit ihrer hohen Holzdecke und den mächtigen Steinsäulen. Es herrscht eine wilde Mixtur aus den verschiedensten Stilepochen vor, teilweise kahle Wände, für mich nicht gerade ansprechend.
In der Nähe des Fischerhafens liegt das „Lavatoio medievale“, ein öffentlicher Waschplatz aus dem Mittelalter, der vielleicht aus der Araberzeit stammt. Er wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts von der Stadtbevölkerung benutzt: Ein natürlicher Wasserlauf wird durch mehrere in den Felsen gehauene Becken mit steinernen Waschbrettern geleitet.
Als ich vom Berg runterkomme dreht der Wind und es fängt an etwas zu wehen. Ich komme gerade noch rechtzeitig, um mit Najade unter einiger Anstrengung den Vorhafen zu verlassen, denn die scharfkantigen Steine der Mole waren nicht mehr allzu weit entfernt. Das war wieder einmal knapp! Ich motore erleichtert an die andere Seite des Städtchens, wo ich mich vor dem Sandstrand, in einiger Entfernung der alten Mole, vor Anker lege. Neben mir liegt ein älteres deutsches Schiff (selten in dieser Gegend!), dessen Skipper so wie ich aus dem Vorhafen geflüchtet ist. Ein Gewitter zieht auf, es regnet, daher verziehe ich mich unter Deck und schreibe nichts ahnend an meinem Blog – als plötzlich die Welt um mich herum untergeht: Eine Böenwalze drückt Najade so auf die Seite, dass ich (sitzend!) mitsamt dem Laptop den Halt verliere. Das gibt’s doch gar nicht!! Urplötzlich peitscht der Regen fast waagerecht über das Wasser, wird zum Hagel. Bevor ich noch an Deck komme erwischt uns die zweite Walze, Najade legt sich wieder quer und bleibt so lange, bange Sekunden liegen. Im ersten Moment glaube ich wir sitzen schon auf Grund auf, dann realisiere ich aber, dass der Anker schliert, den ich ja gar nicht richtig eingefahren habe, da hier ja nur einen Badestopp geplant war! Als ich an Deck komme ist dort die Hölle los: Die Sicht beträgt keine fünfzig Meter mehr, Regen und Hagel trommeln auf das Deck, finden durch den Niedergang auch ihren Weg in die Kajüte. Die Wellen schlagen über die Bordwand, das Wasser hat eine unnatürlich hellgrüne Farbe bekommen, Gischt fliegt, der Wind pfeift in den Böen in unglaublicher Stärke, der Windgenerator jault erbärmlich, Blitz und Donner fast gleichzeitig. Nachdem ich nackt bin friere ich sofort, der Hagel schmerzt auf der Haut, ich kann fast nichts sehen, da ich als Brillenschlange bei solchen Verhältnissen immer die Arschkarte habe. Ich bin kurzzeitig fassungslos – so etwas habe ich noch nicht erlebt! Ich ducke mich bibbernd im Cockpit, überlege was ich tun könnte und bitte inständig darum, dass dieses Inferno schnell vorübergehen möge. Doch nichts ändert sich, das Inferno bleibt unverändert. Ich stürze in die Kajüte hinunter, schnappe mir eine Regenjacke und die halbe Küchenrolle um meine Brillen halbwegs zu säubern, starte den Motor und gebe Fahrt voraus, um den Anker zu entlasten, als ich seitlich undeutlich die Umrisse der Mole auftauchen sehe. Der Sturm treibt uns geradewegs darauf zu. Jetzt ist alles aus, denke ich. Hier in dieser Scheißgegend mein schönes Schiff zu verlieren, das darf doch wohl nicht wahr sein! Um mich habe ich keine Angst, aber um meine Najade!! Um uns herum kann ich nicht viel sehen, aber ich habe ja meinen Kompass und weiß, dass die Rettung nur im Norden liegen kann, am offenen Meer. Ich gebe Vollgas und umklammere die Pinne mit beiden Händen und mit aller Kraft, denn Najade bockt wie wild, ruckt in die Ankerkette ein, legt sich quer, kämpft mit mir, der Druck auf die Pinne ist gewaltig. Mein Blick ist auf den Kompass fixiert, ich versuche die wilden Bocksprünge des Schiffes durch große Ruderausschläge auszugleichen, aber der Anker sitzt ja noch im Grund, ich kann ihn nicht aufholen, denn wenn ich die Pinne loslasse schlägt Najade sofort quer, und das in der Nähe der verdammten Mole! Nein, die Flucht muss auch so gelingen!! Unendlich langsam nehmen wir Fahrt auf, der Anker am Meeresgrund hält ja mit aller Kraft dagegen! Bitte, bitte, verfang dich jetzt bloß nicht, es ist ja nur Sandgrund! Die Angst sitzt mir im Nacken, ich bin angespannt, voll konzentriert. Wir schaffen das! Hoffentlich ist uns das deutsche Nachbarschiff nicht im Weg, ich kann es ja nicht sehen! Fieberhaft überlege ich, wie viel Kette ich gesteckt habe. Ich will, dass der Anker endlich freikommt! Nachdem die Instrumente nicht eingeschaltet sind, weiß ich auch nicht, wie tief es hier ist. Ich weiß nur, dass ungefähr in meiner Fahrtrichtung eine Flachstelle liegen muss. Mein Blick ist starr auf den Kompass gerichtet, bloß den Kurs halten, weg von diesem verdammten Land! Die Mole ist aus meinem Blickfeld verschwunden, ich ducke mich so gut es geht hinter die Sprayhood, um etwas Schutz zu finden. Bin ich froh, dass ich das Ding habe! Plötzlich höre ich wie der Anker auf Steinen zu rumpeln beginnt. Nein, nicht das auch noch!! Sekunden später ein paar kräftige Rumpler, die gesamte Ankette rauscht bis zu meiner (zum Glück!) eingespleißten Leine aus, da die Ankerwinsch zu schwach ist, um die Belastung abzufangen, und mit einem kräftigen Ruck kommen wir zum Stehen, der Endanschlag wird seiner Bestimmung gerecht und hält die Belastung aus. Der Motor gibt alles, aber gegen einen hinter Steinen eingeklemmten Anker kann er nicht ankommen. Ausgerechnet die Flachstelle müssen wir erwischen, so ein Sch…! Ich stürze vor zum Ankerkasten und überlege: Soll ich die Leine bebojen (damit ich den Anker später mitsamt der Kette wieder finde), kappen und weiter aufs Meer hinausfahren oder soll ich hier, da ja der Anker bombenfest sitzt, abwarten, bis das Unwetter vorbeigezogen ist? Weit genug von der Mole wären wir ja nun. Ich entscheide mich für Letzteres, da ich die Leine ja noch immer kappen kann. Ich schalte auf Leerlauf, mit dem Messer in Griffnähe sitze ich bibbernd im Schutze der Sprayhood und nehme erst jetzt den ganzen Umfang des Unwetters wahr: Die Kanalisation der Stadt muss zerstört worden sein, das Meer hat im Strandbereich eine hässliche braune Farbe bekommen und ist voller Abfall, der Gestank ist erbärmlich. Ein Surfbrett, eine Tür und verschiedene Kanister werden Vorbeigetrieben, vom Land her lärmen unzählige Alarmanlagen. Nach einer knappen viertel Stunde beruhigt sich die Situation etwas, die Sicht wird wieder normal – ich liege 100m von der Mole entfernt, also in Sicherheit und zwar bombenfest. Der Anker meines deutschen Nachbarlieger hat zwar gehalten, sein Schiff wurde allerdings stark in Mitleidenschaft gezogen: Die Steuerbordsaling gebrochen, ein Segel zerfetzt, ebenso das Sonnensegel, Wasser im Schiff, sein Schlauchboot hat es umgedreht, der Motor ist unter Wasser. Ich inspiziere Najade, das brave, stark gebaute Mädchen hat nicht eine einzige Schramme abbekommen, alles ist o.k., nur der Skipper hat etwas weiche Knie… Nur, wie komme ich von hier weg? Unter dem Kiel sind nur ein bis eineinhalb Meter Wasser, dass ist mir eindeutig zu wenig, denn wenn in der Nacht Wellen kommen besteht die Gefahr des Aufsitzens – und das möchte ich mit allen Mitteln vermeiden. Ich fahre im Kreis, versuche „hoch / nieder“, probiere es mit sanfter und auch roher Gewalt, aber der Anker sitzt bombenfest irgendwo eingeklemmt – ich bin „angekettet“ im wahrsten Sinne des Wortes… Ein Abtauchen kommt für mich überhaupt nicht in Frage, in diese braune Drecksbrühe, in der unsägliche Sachen schwimmen, bringen mich keine zehn Pferde. Ich nehme also die Kette so kurzstag wie möglich, Najade ruckt etliche Male kräftig ein, und nach einigen bangen Minuten reißt es den Anker dann doch aus, ich kann erleichtert Kurs auf den Sandstrand nehmen, wo ich den Anker bei fünf Meter Wassertiefe, weit weg von der Mole, besonders sorgfältig einfahre und alle vierzig Meter Kette stecke. Die Nacht bricht herein, ich lege mich mit einem unguten Gefühl in die Koje, nachdem der Wetterbericht ziemliches Schlechtwetter angesagt hat.
Die Küche bleibt kalt, ich habe keinen Appetit, muss das Geschehene verarbeiten….
Wie es im Hafen wohl aussieht? Gut, dass ich nicht im Vorhafen liegen geblieben bin – dort wäre die Sache nicht so glimpflich abgelaufen!
Wieder fällt mir die alte Seemannsweisheit ein: „Schütze du mich vor dem Land, dann schütze ich dich vor der See“. Wie wahr, wie wahr…
Schauen wir mal, was die Nacht so bringt – für heute würde es mir reichen …